Mittwoch, 25. Juli 2007

Immaterialität als Betrugsmanöver

In Georg Christoph Tholens Text Platzverweis. Unmögliche Zwischenspiele von Mensch und Maschine (in: Bolz u.a., Computer als Medium, München 1999) findest du eine Auseinandersetzung mit der Immaterialität im Kontext einer/der Dualismusdifferenz (insb. S. 122f):

Die Immaterialität der Information ist keine beklagenswerte Manipulation von unschuldigen Dingen, kein postmodernes Betrugsmanöver, das sich als Unübersichtlichkeit maskiert. Ihre Unanschaulichkeit, die den naturwissenschaftlichen Horizont von Materie und Energie hinter sich lässt, markiert vielmehr eine weitreichende diskursive Differnz, die ähnlich der thermodynamischen unhintergehbar ist.

Unter Computerbedingungen [...] wird das, was nicht ist, technisch positivierbar und das 'Nein ein Maschinenzustand'. Immaterialität der Information ist Sprache gewordene Technik und Technik gewordene Sprache [...] Dieser komplexen Zeichensituation entspricht keine physikalische Analogie mehr.

Wenn ich den Text richtig verstanden habe, dann geht es darum, sämtliche Dualismen aufzudrösseln. Mit dem Ergebnis, dass sowohl die Differenzfraktion (u.a. Baudrillard), als auch die Extensionsfraktion (McLuhan, Flusser) unrecht hat. Was jetzt aber die Lösung des Dualismus-Dilemmas sein soll, hab ich nicht wirklich verstanden. Solltest du den Text also lesen, eine gemeinsame Diskussion wäre ganz in meinem Sinne. Denn der Text hat es in sich.

6 Kommentare:

telemat hat gesagt…

das klingt gut, vielen dank. ich werde mir das bis montag zu gemüte führen und hoffe auf anregende diskussion. möglicherweise macht mir das auch marie-anne berrs anliegen

telemat hat gesagt…

was ist das denn? wo ist der rest? also nochmal:

… plausibler – immaterialität im sinne der kybernetik ist mir noch ein arg verschwurbelter gedanke, der noch einiger klärungsarbeit bedarf.

telemat hat gesagt…

"das positive sein des problematischen" (s. 129), ja, allerdings. ich bin nun endlich dazu gekommen, mir den platzverweis anzusehen.

soweit ich das verstanden habe, will tholen zeigen, dass das symbolische (ganz im lacanschen sinne, wie wir das besprochen haben) als dritte kategorie den dualismus von realem und imaginärem auflösen kann. ebenso wie den von mensch ("sprechwesen") und technik ("zeichenmaschine").

leider gehört auch tholen zu jener fraktion, die um so hanebüchen komplizierten satzbau bemüht ist, dass ihr am ende die eigene grammatik entgleitet. "Solche differentielle Axiomatik vermag erst anzugeben, daß und wie die technisierte Axiomatik, mit der die universelle Turingmaschine das Gefüge vormaliger technischer Dingbestimmung unwiderruflich verschiebt und ablöst." (s. 126) wie meinen? und das ist nicht das einzige beispiel für sätze, die dringend der extension bedürften.

und liege ich damit richtig, dass das symbolische im prinzip der asemantischen (also bedeutungsleeren, gegenüber sein und nicht-sein indifferenten) information im sinne der informationstheorie entsprechen soll? die digitale informationstechnik also als "manifestation" des symbolischen?

fragen bleiben hier genug ("skansion"??), und ich bin weit davon entfernt, tholens eigentliche these verstanden zu haben. das ließe sich wahrscheinlich am besten bei nächster gelegenheit im persönlichen gespräch klären - in jena, in leipzig, oder am lagerfeuer.

telemat hat gesagt…

noch was (ich komm nicht los vom platzverweis): bist du auch der meinung, dass tholen baudrillard eigentlich missversteht und seine ausführungen zum fiktion/realität-dualismus eigentlich auf genau jener erkenntnistheoretischen fehlinterpretation basieren, die hcvh verabschiedet hat? ich sage nur:

"die einstige Realität auflösen" (s. 117)


einstige realität? da hat doch wohl jemand 'das reale' und 'die realität' durcheinander geworfen.

fermate hat gesagt…

Jaja – der Platzverweis. Eigentlich ist der Titel doch Warnung genug. Kommt offensichtlich aus dem Fußball, zumindest aber aus dem Sport und davon habe(n) ich/wir ja nun mal keine Ahnung. Trotzdem: Ich versuch es noch einmal. Die Idee mit dem Lagerfeuer find ich nicht so schlecht. Überhaupt: Die Vorbehalte gegen Bücher- und Kopienverbrennung sind allzu überstrapaziert. Aber dazu kommen wir vielleicht später.

Zunächst: Tholen versucht herauszuarbeiten was zwischen Mensch und Maschine steht – und das ist das Symbolische. Soweit so gut und offensichtlich. Hier ist dir vollkommen zuzustimmen: Das Symbolische ist eine dritte Kategorie. Ich glaube aber, Tholen denkt hier eher kybernetisch als psychoanalytisch: „information is information nor matter or energy“ (Wiener). Später dann hat Lacan diese These übernommen und auf das Symbolische umgemünzt. [Ganz postmodernistisch stibitz: Lacan, Jaques, Psychoanalyse und Kybernetik oder von der Natur der Sprache, in: Ders., Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse, S. 373-390] Das habe ich aber nicht aus Tholens Text herausgelesen, sondern mir anhand seiner Fußnoten zusammengereimt. Dann geht es doch wohl bis zum Kapitel Weder Botschaft noch Prothese darum, dass eine Annäherung an dieses „Symbolische“ aus Sicht der Maschinen (Mathematik, Kybernetik, McLuhan) und des Menschen (Phänomenologie, Philosophie, ?) möglich ist. Beides, denkt Tholen, ist bullshit und erteilt einen Platzverweis.

An diesen frei gewordenen Platz tritt etwas Neues. Es kommt mir vor, wie ein bunt zusammengewürfelter Mix aus Diskursanalyse und Heideggers Frage nach der Technik. Das duale Schema von Wirklichkeit und Fiktion „selbst wiederholt nur auf unbedachte Weise […] eben jene Position klassischer Philosophie, die in zeitgenössischen Diskursen in Anbetracht der Computerkultur doch oftmals als überholt und überwunden gilt. […] Die Zirkulation von Positionen und Übertragungen setzt als drittes Moment das Stellenspiel des Symbolischen voraus. Dieses ist nicht ein weiterer Ort neben dem Realen und Imaginären, da es als Ort keinen Bestand hat“ (S. 127f.). Dies ist doch nicht anderes als ein Wiederaufrufen von Wiener bzw. Lacan, oder? Aber was ist dann jetzt Tholens Beitrag, bzw. warum schreibt er diesen Text? Ist das einzige was Tholen sagen möchte: „Formale Maschine beanspruchen nichts.“ (S. 133). Das wäre dann ein Punkt, an dem ich gern auf das Lagerfeuer zurückkommen würde.

fermate hat gesagt…

Soweit weit weg von der Wahrheit sind wir mit unserer Deutung des Textes gar nicht. Winkler bezieht sich in "Die prekäre Rolle der Technik" [in: Heller u.a. (Hrsg.), Über Bilder sprechen, Marburg 2000, S. 9-22.] folgendermaßen auf Tholen: "Es geht mir durchaus nicht darum, die schlichte Polarität ‚Mensch versus Technik’ noch einmal zu reinstallieren, die vor allem Tholen mit Blick auf die Sprache sehr wirkungsvoll demontiert hat." Kommentar ist vielleicht nicht gerade der Weisheit letzter Schluss, zumindest aber gibt er ein wenig Sicherheit.