Dienstag, 24. Juli 2007

Exposé: Kybernetisches Denken und Medientheorie (Arbeitstitel)

Der zu untersuchende zeitliche Horizont erstreckt sich von den frühen 30er bis in die 60er/70er Jahre des 20. Jahrhunderts. Es ist die Zeit der Kybernetik und die Kybernetik ist mit Claus Pias’ Worten, „das vielleicht folgenreichste wissenshistorische Ereignis der Nachkriegsgeschichte.“[1] Dieser Befund mag zunächst verstören, da die Kybernetik im heutigen Wissenschaftsbetrieb alles andere als präsent ist. Monografien aktuelleren Datums sucht man vergebens. Zwar sollte sie in den 80er und 90er Jahren in einer Populärvariante des Cyber- (Cyborgs, Cyberpunk, Cyberculture, Cyberspace) eine Renaissance erfahren, doch büßte sie damit gleichzeitig den letzten Rest ihrer wissenschaftlichen Reputation ein. Das was namhafte Wissenschaftler[2] aus den verschiedensten Disziplinen in den Jahren 1946-1953 im New Yorker Beekman Hotel aus der Taufe hoben, scheint in der Gegenwart auf keine Resonanz mehr zu stoßen: Die Rede ist von den Macy-Konferenzen als der Gründungsrahmen für eine neue „Generalwissenschaft“[3] – eben jener Kybernetik.

Aber vielleicht ist die Kybernetik gar nicht von der Bildfläche verschwunden, sondern lebt umetikettiert unter einem neuen Label wirkmächtig weiter? Die Rede ist von der Medientheorie, die mit Herbert Marshall McLuhans Studie Understanding Media ins Rampenlicht der Wissenschaftswelt getreten ist. Ausgearbeitet und in Buchform 1964 publiziert, kommt sie in einer Zeit auf den Markt, in welcher der kybernetische Leitstern zu sinken beginnt. Auch McLuhan spricht von einer „wissenschaftlichen Revolution, die man ‚Automation’ oder ‚Kybernation’ nennt“[4] um sie zugleich für seine Medientheorie zu vereinnahmen. Denn wenn die Technik des Menschen als Ausweitung seiner selbst zu verstehen ist und ihr Gebrauch sowohl Technik als auch Mensch verändert, dann ist dies ein kybernetisches Rückkopplungskonzept. Nichts anderes behauptet McLuhan, wenn er in seinem assoziativen Stil schreibt: „Der Mensch wird sozusagen zum Geschlechtsteil der Maschinenwelt, wie es die Biene für die Pflanzenwelt ist, die es ihnen möglich macht, sich zu befruchten und immer neue Formen zu entfalten.“[5] Der damit verbundene Anspruch ist gewaltig: Denn dieser „Servomechanismus“, wie McLuhan ihn auch nennt, macht zuerst den „Kybernetiker – und bald die ganze Welt“[6] zum Anhängsel der kybernetischen Maschine – dem Computer. Und wenn McLuhan jetzt auch noch das gesprochene Wort als die erste Technik des Menschen versteht[7], wird klar, dass Kybernetik und Medientheorie hier eine Synthese eingehen. Diese Übernahme von kybernetischem Denken in eine ausformulierte Medientheorie gilt es ausführlich nachzuvollziehen und argumentativ zu untermauern.

Geht es um Kybernetik, dann ist immer auch von ihrem Namenspatron Norbert Wiener die Rede. Wieners Buch Cybernetics or Control and Communication in the Animal and the Machine (1948) war es dann auch, welches Max Bense von der Möglichkeit einer philosophischen Deutung der Technik überzeugte. „Es gibt eine ontologische Theorie der Maschine.“[8] Dieser Satz aus Benses Kybernetik oder die Metatechnik einer Maschine von 1951 wirft ein weiteres Schlaglicht auf die zu bearbeitende Kernthese: Die Interdependenz von Kybernetik und Medientheorie. Anders als bei McLuhans steht bei Bense also eine Theorie im Vordergrund in der „die Modi und Attribute, die Kategorien und Seinsschichten der technischen Gebilde entwickelt werden.“[9] Es scheint also, als ob sich Bense der Technik von der genau entgegengesetzten Seite nähert. Nicht „Prothesen“ und „Extensionen“ des Menschen stehen im Fokus, sondern „die Sphäre des technischen Seins“. Der Mensch selbst ist „technische Existenz“[10] und befindet sich sozusagen mit seinen technischen Artefakten auf Augenhöhe.

Die beiden Autoren McLuhan und Bense werden damit eine Art Scharnierfunktion einnehmen. An ihnen soll gezeigt werden, wie kybernetisches Denken in Medientheorie weiter ein epistemisches Fundament bildet. Dazu ist es notwendig in einem ersten Teil der anzufertigenden Magisterarbeit die Wesentlichen und für das Vorhaben wichtigen Aspekte der Kybernetik gezielt vorzustellen. Die Macy-Konferenzen als Rahmen bieten sich dafür geradezu an. Autoren wie Warren McCulloch, Norbert Weiner (u.a. zusammen mit Rosenblueth/ Bigelow), Claude E. Shannon und Heinz von Foerster werden dafür im Besonderen herangezogen. In einem zweiten Teil werden, wie bereits dargestellt, diese kybernetischen Episteme in der sich entwickelten Medientheorie aufgespürt. Neben McLuhan und Bense sollen hier des Weiteren Georg Klaus und Heinz von Foerster (mit seiner Position einer Second Order Cybernetics) zu Wort kommen. Dazu wird es voraussichtlich unumgänglich sein in einem dritten Teil Position zu beziehen was Medientheorie ist, was sie will, was sie kann. Für diesen Teilaspekt ist es selbstverständlich notwendig die entsprechende Sekundärliteratur heranzuziehen. Gleichzeitig ist dieser Punkt im Moment noch vollkommen ergebnisoffen. Denn durch die ‚Aufdeckung der Komplizenschaft’ zwischen Kybernetik und Medientheorie soll zugleich ein Standpunkt zur Beurteilung dessen gewonnen werden, was Medientheorie leisten kann.



[1] Claus Pias: Die kybernetische Illusion, in: Liebrand, Claudia/ Schneider, Irmela (Hrsg.): Medien in Medien, Köln 2002, S. 51.

[2] Zu nennen wären u.a.: Warren McCulloch, Norbert Wiener, Gregory Batson, Paul Lazarsfeld, Magaret Mead, John von Neumann, Heinz von Foerster, Claude E. Shannon, Heinrich Klüver, Kurt Lewin, Ross Ashby, Joseph C.R. Licklider, Max Delbrück, Roman Jacobson, Charles Morris u.v.a. Jean Piaget, Albert Einstein, Bertrand Russell und Rudolf Carnap waren ebenfalls eingeladen, sagten ihre Teilnahme aber ab.

[3] Herbert W. Franke, Kybernetik. Wo ist sie geblieben, in: Telepolis , 23.07.07.

[4] Marshall McLuhan, Die magischen Kanäle. Understanding Media, Düsseldorf/ Wien 1968, S. 376.

[5] Ebd., S. 56.

[6] Marshall McLuhan, Geschlechtsorgan der Maschinen. Playboy-Interview mit Eric Norden, in: absolute Marshall McLuhan, hg. v. Baltes, Martin/ Höltschl, Rainer, Freiburg 2002, S. 47.

[7] Vgl. McLuhan, Die magischen Kanäle, S. 67f.

[8] Max Bense, Kybernetik oder die Metatechnik einer Maschine, in: Büscher, B./ Herrmann, H.-C. v./ Hoffmann, C. (Hrsg.), Ästhetik als Programm: Max Bense. Daten und Streuungen, Berlin 2004, S. 58.

[9] Ebd., S. 58.

[10] Ebd., S. 61.

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