Montag, 26. Oktober 2009

Postgenomik: Die Wissenschaften vom Gen erleben ihre Postmoderne

Obwohl Staffan Müller-Wille und Jörg Rheinberger in ihrem Essay über Das Jahrhundert des Gens eine grundlegende wissenschaftshistorische Kritik am Großkonzept der Biologie unternehmen, wollen sie dennoch nicht gelten lassen, dass es zu irgendeinem

Zeitpunkt eine einfache und allseits akzeptierte Definition des Gens gegeben, und schon gar keine simplifizierend-reduktionistische, die den Genetikern und Molekularbiologen des 20. Jh. von den eifrigsten Verfechtern eines grundsätzlichen Neuanfangs in den Lebenswissenschaften gern unterstellt wird. Vielmehr befand sich der Begriff des Gens - und das ist durchaus typisch für einen historisch einflussreichen wissenschaftlichen Terminus - immer 'im Fluss'.

Das Gen wurde zum epistemischen Objekt, das sich damit Zug um Zug einer instrumentell vermittelten, experimentellen Handhabung erschloss. Vor allem aber blieb die Genetik als biologische Leitdisziplin nicht auf ihren Wissensraum beschränkt. Konzepte wie Genotyp und Phänotyp streuten in andere Disziplinen und beeinflussten so das Denken über das Lebendige. Im Umkehrschluss veränderten biophysikalische und biochemische Techniken (Molekularbiologie) die Materialität des Gens und schufen einen neuen Diskurs. Die neue Zentralmetapher lautete: Information.

Mittwoch, 25. Juli 2007

Immaterialität als Betrugsmanöver

In Georg Christoph Tholens Text Platzverweis. Unmögliche Zwischenspiele von Mensch und Maschine (in: Bolz u.a., Computer als Medium, München 1999) findest du eine Auseinandersetzung mit der Immaterialität im Kontext einer/der Dualismusdifferenz (insb. S. 122f):

Die Immaterialität der Information ist keine beklagenswerte Manipulation von unschuldigen Dingen, kein postmodernes Betrugsmanöver, das sich als Unübersichtlichkeit maskiert. Ihre Unanschaulichkeit, die den naturwissenschaftlichen Horizont von Materie und Energie hinter sich lässt, markiert vielmehr eine weitreichende diskursive Differnz, die ähnlich der thermodynamischen unhintergehbar ist.

Unter Computerbedingungen [...] wird das, was nicht ist, technisch positivierbar und das 'Nein ein Maschinenzustand'. Immaterialität der Information ist Sprache gewordene Technik und Technik gewordene Sprache [...] Dieser komplexen Zeichensituation entspricht keine physikalische Analogie mehr.

Wenn ich den Text richtig verstanden habe, dann geht es darum, sämtliche Dualismen aufzudrösseln. Mit dem Ergebnis, dass sowohl die Differenzfraktion (u.a. Baudrillard), als auch die Extensionsfraktion (McLuhan, Flusser) unrecht hat. Was jetzt aber die Lösung des Dualismus-Dilemmas sein soll, hab ich nicht wirklich verstanden. Solltest du den Text also lesen, eine gemeinsame Diskussion wäre ganz in meinem Sinne. Denn der Text hat es in sich.

Dienstag, 24. Juli 2007

Exposé: Kybernetisches Denken und Medientheorie (Arbeitstitel)

Der zu untersuchende zeitliche Horizont erstreckt sich von den frühen 30er bis in die 60er/70er Jahre des 20. Jahrhunderts. Es ist die Zeit der Kybernetik und die Kybernetik ist mit Claus Pias’ Worten, „das vielleicht folgenreichste wissenshistorische Ereignis der Nachkriegsgeschichte.“[1] Dieser Befund mag zunächst verstören, da die Kybernetik im heutigen Wissenschaftsbetrieb alles andere als präsent ist. Monografien aktuelleren Datums sucht man vergebens. Zwar sollte sie in den 80er und 90er Jahren in einer Populärvariante des Cyber- (Cyborgs, Cyberpunk, Cyberculture, Cyberspace) eine Renaissance erfahren, doch büßte sie damit gleichzeitig den letzten Rest ihrer wissenschaftlichen Reputation ein. Das was namhafte Wissenschaftler[2] aus den verschiedensten Disziplinen in den Jahren 1946-1953 im New Yorker Beekman Hotel aus der Taufe hoben, scheint in der Gegenwart auf keine Resonanz mehr zu stoßen: Die Rede ist von den Macy-Konferenzen als der Gründungsrahmen für eine neue „Generalwissenschaft“[3] – eben jener Kybernetik.

Aber vielleicht ist die Kybernetik gar nicht von der Bildfläche verschwunden, sondern lebt umetikettiert unter einem neuen Label wirkmächtig weiter? Die Rede ist von der Medientheorie, die mit Herbert Marshall McLuhans Studie Understanding Media ins Rampenlicht der Wissenschaftswelt getreten ist. Ausgearbeitet und in Buchform 1964 publiziert, kommt sie in einer Zeit auf den Markt, in welcher der kybernetische Leitstern zu sinken beginnt. Auch McLuhan spricht von einer „wissenschaftlichen Revolution, die man ‚Automation’ oder ‚Kybernation’ nennt“[4] um sie zugleich für seine Medientheorie zu vereinnahmen. Denn wenn die Technik des Menschen als Ausweitung seiner selbst zu verstehen ist und ihr Gebrauch sowohl Technik als auch Mensch verändert, dann ist dies ein kybernetisches Rückkopplungskonzept. Nichts anderes behauptet McLuhan, wenn er in seinem assoziativen Stil schreibt: „Der Mensch wird sozusagen zum Geschlechtsteil der Maschinenwelt, wie es die Biene für die Pflanzenwelt ist, die es ihnen möglich macht, sich zu befruchten und immer neue Formen zu entfalten.“[5] Der damit verbundene Anspruch ist gewaltig: Denn dieser „Servomechanismus“, wie McLuhan ihn auch nennt, macht zuerst den „Kybernetiker – und bald die ganze Welt“[6] zum Anhängsel der kybernetischen Maschine – dem Computer. Und wenn McLuhan jetzt auch noch das gesprochene Wort als die erste Technik des Menschen versteht[7], wird klar, dass Kybernetik und Medientheorie hier eine Synthese eingehen. Diese Übernahme von kybernetischem Denken in eine ausformulierte Medientheorie gilt es ausführlich nachzuvollziehen und argumentativ zu untermauern.

Geht es um Kybernetik, dann ist immer auch von ihrem Namenspatron Norbert Wiener die Rede. Wieners Buch Cybernetics or Control and Communication in the Animal and the Machine (1948) war es dann auch, welches Max Bense von der Möglichkeit einer philosophischen Deutung der Technik überzeugte. „Es gibt eine ontologische Theorie der Maschine.“[8] Dieser Satz aus Benses Kybernetik oder die Metatechnik einer Maschine von 1951 wirft ein weiteres Schlaglicht auf die zu bearbeitende Kernthese: Die Interdependenz von Kybernetik und Medientheorie. Anders als bei McLuhans steht bei Bense also eine Theorie im Vordergrund in der „die Modi und Attribute, die Kategorien und Seinsschichten der technischen Gebilde entwickelt werden.“[9] Es scheint also, als ob sich Bense der Technik von der genau entgegengesetzten Seite nähert. Nicht „Prothesen“ und „Extensionen“ des Menschen stehen im Fokus, sondern „die Sphäre des technischen Seins“. Der Mensch selbst ist „technische Existenz“[10] und befindet sich sozusagen mit seinen technischen Artefakten auf Augenhöhe.

Die beiden Autoren McLuhan und Bense werden damit eine Art Scharnierfunktion einnehmen. An ihnen soll gezeigt werden, wie kybernetisches Denken in Medientheorie weiter ein epistemisches Fundament bildet. Dazu ist es notwendig in einem ersten Teil der anzufertigenden Magisterarbeit die Wesentlichen und für das Vorhaben wichtigen Aspekte der Kybernetik gezielt vorzustellen. Die Macy-Konferenzen als Rahmen bieten sich dafür geradezu an. Autoren wie Warren McCulloch, Norbert Weiner (u.a. zusammen mit Rosenblueth/ Bigelow), Claude E. Shannon und Heinz von Foerster werden dafür im Besonderen herangezogen. In einem zweiten Teil werden, wie bereits dargestellt, diese kybernetischen Episteme in der sich entwickelten Medientheorie aufgespürt. Neben McLuhan und Bense sollen hier des Weiteren Georg Klaus und Heinz von Foerster (mit seiner Position einer Second Order Cybernetics) zu Wort kommen. Dazu wird es voraussichtlich unumgänglich sein in einem dritten Teil Position zu beziehen was Medientheorie ist, was sie will, was sie kann. Für diesen Teilaspekt ist es selbstverständlich notwendig die entsprechende Sekundärliteratur heranzuziehen. Gleichzeitig ist dieser Punkt im Moment noch vollkommen ergebnisoffen. Denn durch die ‚Aufdeckung der Komplizenschaft’ zwischen Kybernetik und Medientheorie soll zugleich ein Standpunkt zur Beurteilung dessen gewonnen werden, was Medientheorie leisten kann.



[1] Claus Pias: Die kybernetische Illusion, in: Liebrand, Claudia/ Schneider, Irmela (Hrsg.): Medien in Medien, Köln 2002, S. 51.

[2] Zu nennen wären u.a.: Warren McCulloch, Norbert Wiener, Gregory Batson, Paul Lazarsfeld, Magaret Mead, John von Neumann, Heinz von Foerster, Claude E. Shannon, Heinrich Klüver, Kurt Lewin, Ross Ashby, Joseph C.R. Licklider, Max Delbrück, Roman Jacobson, Charles Morris u.v.a. Jean Piaget, Albert Einstein, Bertrand Russell und Rudolf Carnap waren ebenfalls eingeladen, sagten ihre Teilnahme aber ab.

[3] Herbert W. Franke, Kybernetik. Wo ist sie geblieben, in: Telepolis , 23.07.07.

[4] Marshall McLuhan, Die magischen Kanäle. Understanding Media, Düsseldorf/ Wien 1968, S. 376.

[5] Ebd., S. 56.

[6] Marshall McLuhan, Geschlechtsorgan der Maschinen. Playboy-Interview mit Eric Norden, in: absolute Marshall McLuhan, hg. v. Baltes, Martin/ Höltschl, Rainer, Freiburg 2002, S. 47.

[7] Vgl. McLuhan, Die magischen Kanäle, S. 67f.

[8] Max Bense, Kybernetik oder die Metatechnik einer Maschine, in: Büscher, B./ Herrmann, H.-C. v./ Hoffmann, C. (Hrsg.), Ästhetik als Programm: Max Bense. Daten und Streuungen, Berlin 2004, S. 58.

[9] Ebd., S. 58.

[10] Ebd., S. 61.

Montag, 9. Juli 2007

entmaterialisierung als versprachlichung

hier ein zugegebenermaßen sehr langes zitat, das aber marie-anne berrs anliegen treffend zusammenfasst und vielleicht auch für dich interessant ist. quelle: technik und körper, 1990.

Insofern ist das Sprachsystem nicht die Befreiung des Lebens, sondern dadurch wird der in der Antike begonnene Prozeß der Mensch-Werdung als ein formales immaterielles Begriffssystem vollendet: Die Erschaffung des Menschen und seiner Welt als immaterielle Systeme, die von der Natur, von der Materie – also auch von den Einflüssen und Impulsen seines Körpers – befreit sind. Die Vorstellung, die Idee Platons einer immateriellen, einer Welt der Schatten, der Mensch als immaterielles, erinnertes Zeichensystem scheint Realität geworden.

Der Diskurs der Antike repräsentierte die Sprache der Natur. Sie war die Systematisierung einer mit bloßem Auge, mit den leiblichen ›Sinneswerkzeugen‹ geschauten Natur. In ihr wurde die geschaute Natur in eine spekulative Ordnung gebracht – geschaffen als eine Ordnung in der Grammatik des Sprechers, dem Repräsentanten der göttlichen Ordnung. Noch waren die zu beobachtenden Einflüsse des Leibes zu stark, die Endlichkeit des Menschen so unausweichlich, noch fehlte der Spiegel einer sich selbst bewegenden unorganischen Materie, so daß das imaginierte menschliche Ideal Gott sein mußte.
Im Diskurs der klassischen Metaphysik war die beobachtete und dargestellte Natur immer schon eine in den Vorstellungen der Klassik reproduzierte. Die Beobachtung selbst wurde methodisiert, maschinisiert, womit der Leib als Sinneswerkzeug ausgeschlossen werden sollte, und an die Stelle der Sinne wurde die bloße, die kalte Vernunft als Erkenntnisorgan gesetzt. Das, was beschrieben wurde, war eine reproduzierte, eine in einem neu zu schaffenden logischen System vorgestellte Natur. Es war die Grammatik eines unorganischen Sprechers, dessen Vorstellungen sich in der Logik der klassischen, also der durch ihre materielle Form determinierten Maschinen bewegten.

Doch sowie mittels einer verfeinerten Technik und einer differenzierteren und zunehmend methodisierten Sprache die unsichtbaren Vorgänge, Ereignisse der Welt technisiert werden konnten, waren sich auch nicht mehr aus dem Diskurs ausgeschlossen, sondern wurde in der Logik des Systems beziffert oder neu beschrieben. Seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts wird es den Natur- und Technikwissenschaften deshalb zunehmend möglich, auch das Unsichtbare sichtbar zu machen und zu beziffern. Diese Möglichkeit der Sichtbarmachung und Bezifferung der Zwischenwelten entfaltete sich mit den Erkenntnissen über den Austausch von Wärmeenergie. Und ab diesem Zeitpunkt wurde begonnen, den Diskurs auch von der reproduzierten, unorganischen Empirie zu lösen, womit dieser – wie bei Sade – zur Rede der Überschreitung des Empirischen, der Materie geworden ist. Der Beginn der Diskursivierung des Unbewußten als das von/in der metaphysischen Vernunft ausgeschlossene ging mit der Beschreibung und Realisierung des Energieflusses einher.

Aber erst in diesem Jahrhundert konnte sich die Sprache völlig von der Materie befreien, war nicht mehr Zwischenwelt zwischen Materie, sondern reines Zeichen: mit der beginnenden Realisierung einer neuen Technik, mit den Elektronenrechnern. Mit dieser neuen Technik hat sich die technische Reproduktion von der Logik einer determinierenden Materie befreit. Die neue Maschine wird als immaterielles System definiert, in dem die mechanischen Anteile völlig aus ihrer Funktionslogik verbannt werden. Die neuen Maschinen funktionieren in einer symbolischen Logik, die die Sichtbarmachung der Vorstellung über die Kombinationsmöglichkeiten von Zeichensystemen realisiert.

In diesem Zusammenhang wird die Sprache – insbesondere seit der Jahrhundertwende – als ein unabhängiges System bestimmt, das sich von der Sprache des Sprechens unterscheidet. Das System der Sprache ist das universale, objektive System, wohingegen die Sprache, die Grammatik des Sprechers immer nur ein Ausschnitt dieses Systems sein kann. Mit dieser Bestimmung der Sprache fällt der aus dem metaphysischen Denken hervorgegangene Begriff des Menschen als Subjekt in sich zusammen. Denn hier ist der Diskurs des Sprechers nicht mehr – wie im klassischen Zeitalter – universell, sondern nur die ständige Annäherung an das bereits Gedachte. Mit der neuen Sprache verschwindet das sprechende Subjekt, das ›ich denke‹ und wird zu einem ›es/man denkt‹ oder ›es gibt‹ – im Sinne einer ständigen Bewegung des Denkens als das Herstellen von Nähe. (S. 197f)

Samstag, 7. Juli 2007

McLuhan 2.0

Dieser spinnerte Kanadier wird mir immer sympathischer. Ich lese mich gerade durch Understanding Media und stoße auf diesen Satz:

"Das vom Kunden Gestaltete tritt an die Stelle des Massenproduzierten." (1968, S. 381)

Und auch eine Matrix hat der liebe Marshall schon gedacht. Allerdings keine düstere, sondern eine durch und durch menschliche. Ganz in dem Sinne: "Arbeit ist scheiße"

"Das elektronische Zeitalter der Servomechanismen befreit die Menschen von der mechanischen und spezialisierten Routinearbeit des vergangenen Maschinenzeitalters. Wie die Maschine und das Auto die Pferde ablösten und sie dem Sport und Vergnügen zuführten, macht die Automation das mit den Menschen." (1968, S. 388)

Die Folge ist nicht etwa Arbeitslosigkeit und Studentenprekariat, sondern es werden alle Künstler und bieten ihre Dienste der Gesellschaft an. In diesem Sinne macht die Automation nicht Spezialwissen, sondern Allgemeinbildung erforderlich.

"Die Menschen werden plötzlich nomadische Informationssammler, und zwar so nomadisch wie noch nie, informiert wie noch nie, frei von hemmender Spezialisierung wie noch nie - aber auch wie noch nie in den ganzen Gesellschaftsprozess einbezogen, da wir ja mit der Elektrizität unser Zentralnervensystem weltumspannend erweitert haben und jede menschliche Erfahrung sinnvoll einordnen können." (ebd.)

In diesem Sinne brauchen wir uns ja keine Sorgen machen.

Mittwoch, 4. Juli 2007

modellhaft

soeben lief mir ein hochinteressantes zitat von oswald wiener (kursbuch 75, 1984) über den weg, das ich als beitrag zu den ergebnissen der letzten seminarsitzung verstehe.

Wir bewegen uns nur mehr in einer Welt von Modellen, in welcher Modelle entscheiden, was ein Modell ist, ob ein Modell das Modell innerer oder äußerer Vorgänge ist, wo die Vorgänge aufhören, Vorgänge zu sein, und beginnen, Modell zu werden, ob es Sinn hat, von Vorgängen zu sprechen, die nicht Modell sind, ob ein Zuordnungsmechanismus, der ein Modell auf ein anderes bezieht, selbst ein Modell ist…


das bringt baudrillard umso mehr mit einer richtung in verbindung, in die ich ihn zuvor nie eingeordnet hätte. was wieder ein beweis der these ist, das hier alles irgendwie miteinander zusammen hängt.

Dienstag, 26. Juni 2007

agonie bei hcvh

zum seminar bei hcvh gestern, dem du ja unerlaubt und unerhört ferngeblieben bist. thema war baudrillard - das ganze zog sich, eher zäh, hin bis acht uhr. ich glaube, die meisten haben da ziemlich abgeschaltet. ich für meinen teil muss aber sagen, dass ich hellauf begeistert war. endlich habe ich das gefühl, baudrillards anliegen verstanden zu haben, das ganze simulationsgeschwafel wenigstens grob einordnen zu können.

entscheidendes ergebnis (und das war mir bislang in keiner weise klar): baudrillard betreibt keine erkenntnistheorie. will man baudrillard verstehen, muss man sich bewusst sein, dass seine theorie als eine theorie der zeichenpraxis, mithin semiotisch, zu verstehen ist. d.h.: agonie des realen meint gar nicht, dass man (als subjekt) vor dem fernseher sitzt und die bilder nicht mehr von der realität unterscheiden kann.

vielmehr geht es um eine weise des zeichengebrauchs, die das verhältnis des menschen zur welt bestimmt: das denken in modellen. mit nietzsche kann man sagen, dass menschliche weltzuwendung/-erfassung immer an sprache gebunden ist und also immer konstruktiv. und eben dieses verhältnis legt, so baudrillard, die dritte ordnung der simulakra, die simulation offen, während die (historisch und übrigens klar verortbar) vorhergehenden ordnungen dieses verhältnis prinzipieller künstlichkeit systematisch zu verdecken suchten.

"agonie des realen" ist also nicht das verhängnis des menschen, der plötzlich die wirklichkeit aus den augen verliert ("hilfe, was ist nur mit der wirklichkeit passiert, gestern war sie doch noch da?"), sondern eine zeichenpraxis, die die scheinbar unhintergehbare kategorie des realen dahin führt, wo sie hingehört. ad absurdum nämlich.

so etwa im groben. klingt vielleicht spanisch, scheint mir aber sehr erhellend.

nächste woche noch mal baudrillard, dann gleich zizek (insb. der perversionstext) - in den letzten sitzungen dann kevin kellys "out of control" und erik davis' "techgnosis". beides kommt auf metacoon.