Dienstag, 8. Mai 2007

blitzartig

eines fällt mir gerade noch ein: interessant ist doch eigentlich gerade der begriff der überraschung, der heute mehrfach fiel. überraschen ist ja eben gar nicht an intelligenz oder ähnliches geknüpft, sondern kann sich gerade auch aus der vollkommenen formalisierung ergeben. etwas anderes dagegen kann nur der mensch: überrascht sein!

liegt da nicht der, oder doch zumindest ein hund begraben?

der zettelkasten kann also nicht überraschen, weil er sich plötzlich in völlig neuer weise verhält (d.h.: plötzlich toastbrot auswirft), sondern gerade weil die art seiner formalisierung verknüpfungen sichtbar macht, an die der nutzer/programmierer vielleicht nicht gedacht hat, die er aber (vermittels der programmstruktur) dennoch selbst angelegt hat. was der zettelkasten da auswirft, sind aber ja keine gedanken, sondern nur bezüge, aus denen der nutzer selbst, qua interpretation, gedanken macht.

dumm wie toastbrot also, das erscheint mir ganz unstrittig – und gleiches gilt für den computer.

die kategorie der überraschung aber zeigt für mich einmal mehr, wo die entscheidende grenze liegt, die sich eben nicht formalisieren lässt: im (intuitiven!) überrascht sein.

6 Kommentare:

telemat hat gesagt…

hilfe, ich kann nicht aufhören.

noch etwas: vor genau diesem hintergrund wird nämlich auch die unterscheidung von oberfläche und unterfläche (was ein passenderer begriff für die dimension der "tiefe" ist) spannend. frieder nake definiert nämlich die algorithmisch kunst als kunst der klassen. algorithmische kunst heißt, ein programmierer schreibt code (unterfläche), den der computer dann visualisiert (zur erscheinung bringt: oberfläche). der clou: dabei entstehen keine einzelnen werke, sondern werke in klassen. will heißen: verschiedenste "bilder" können aus diesem code entstehen (bspw. indem die visualisierung selbst einen regler enthält, mit dem sich bestimmte parameter im nachhinein verändern lassen). und genau diese variationsreichen oberflächen sind es, die überraschen können - weil auch der programmierer vorher nicht genau weiß, was sich an ende zeigt. da liegt nun wirklich ein spezifikum des computers - bilder, die nicht auf der ebene der erscheinung erstellt wurden, sondern auf der des codes.

fermate hat gesagt…

Applaus! Vollkommene Zustimmung.

Könnte man nicht sogar noch sehr viel weiter gehen und verallgemeinern: Egal was der Computer macht, den Nutzen aus diesem Tun muss immer der Nutzer selbst ziehen.* Und ist nicht in genau diesen Momenten, also dann, wenn der Nutzer die eigentliche Verstehens-, Interpretations- oder Überraschungsleistung erbringt, der Computer nur Werkzeug und nicht Medium?!

* Ausgenommen seien hier die Fälle, in denen der Computer lediglich als Universalabspielgerät für etablierte, altbekannte Medien fungiert. Diese sozusagen auf neuer "Oberfläche" emuliert.

fermate hat gesagt…

Im Post hast du geschrieben: "an die der nutzer/programmierer vielleicht nicht gedacht hat".

Hier ist es, denke ich, wichtig zu differenzieren. Gerade so zeigt sich nämlich die ideologisch-dogmatische Paranoia von Computern. Denn wie heute schon festgestellt, sind Paranoiker Logiker par excellence: sie haben ein Axiom, eine Theorie, einen Grund von der aus sich alles logisch ableitet und unterordnet.

Was sich hier nach akademischer Krümmelkackerei anhört; vor dem Hintergrund, dass Computer als Instanzen zur Entscheidungsfindung bei komplexen Problemen und Situationen zumindest mit herangezogen werden, bekommt dieses Phänomen eine bedenkliche und gefährliche Qualität. Klassisches Beispiel im SF-Kino: "I Robot"

telemat hat gesagt…

das stimmt, ja. in bezug auf die überraschung allerdings hatte ich das bewusst gleich gesetzt. luhmann war ja bei der zettelkastengeschichte eben genau das - programmierer und nutzer in einem. und trotzdem konnte ihn der zettelkasten überraschen. gleiches kann auch für computer gelten, so denke ich. das charakteristische ist ja, das selbst der programmierer, der die tiefen der syntax kennt, von den ergebnissen an der oberfläche, der semantik meinetwegen, überrascht sein kann.

ein programm schreiben, dessen allgemeine logik kennen - und trotzdem von den konkreten ergebnissen überrascht sein, das scheint mir ein wichtiger punkt zu sein. und einer, der wahrscheinlich für den computer spezifisch ist - abgesehen von solchen nischenprodukten wie eben dem zettelkasten (der in dieser perspektive ja durchaus selbst computerähnlich ist).

fermate hat gesagt…

Ich weiß nicht, ob ich dich in deinem letzten Kommentar richtig verstehe, aber ruderst du hier nicht mit deiner Aussage zurück? Für mich besteht ein riesiger Unterschied zwischen "überraschen" und "überrascht sein". Unmittelbar damit einher geht die Fähigkeit des Menschen zu vergessen bzw. zu irren. Ein Computer kann nicht irren, kann nicht vergessen, kann sich nicht mal seiner selbst bewusst werden, somit kann er auch nicht "überraschen".

Das Phänomen der Überraschung ist für mich dezidiert nichts Computerspezifisches! Eher im Gegenteil, es offenbart eine weitere Differenz zum Menschen. Ein Computer ist ja auch nicht frustriert wenn er abstürzt. Das ist nur der Anwender, wenn er sich nicht schon daran "gewöhnt" hat (noch so ein Phänomen).

PS: Was hältst du eigentlich von meiner Werkzeug-Medium Differenzierung?

telemat hat gesagt…

nur, um noch einmal zusammen zu fassen: die differenz zwischen überraschen (das kann der computer) und überrascht sein (das kann nur der nutzer) ist völlig klar, das war ja gerade mein ausgangspunkt.

computerspezifisch aber scheint mir dies: dass auch der programmierer, der die syntaktischen strukturen letztlich genau kennt (weil er sie selbst geschrieben hat), auf semantischer ebene von den ergebnissen trotzdem überrascht sein kann. das mag aber vielleicht nur an der begrenzten erinnerungskapazität (bzw. dem begrenzten überblick) liegen. der computer kann natürlich rein aus kapazitätsgründen eben längere deduktionsketten durchführen, als der mensch.

trotzdem: interessant wird das beispielsweise für die algorithmischen bilder, weil bei diesen sowohl die syntaktische Unterfläche als auch die (vielgestaltige) semantische oberfläche im fokus ein und desselben "bedieners" liegen: des künstlers, der zugleich programmierer und nutzer des programms ist.

die werkzeug-medium-differenz finde ich durchaus einleuchtend, frage mich jedoch, ob sich das nicht auf jedes medium anwenden ließe. und warum soll dies für den computer nicht gelten, wenn man ihn als universelles abspielgerät gebraucht?
was mir den computer aber vom bloßen werkzeug zu unterscheiden scheint, ist seine universelle programmierbarkeit - insofern doch mehr, als nur werkzeug?